IKONISCHER ALLROUNDER:
ROLF BENZ 594 BY SEBASTIAN HERKNER
Mit ikonischem Design kennt sich Sebastian Herkner aus. Den derzeit vielleicht augenscheinlichsten Beweis dafür liefert der „Designer des Jahres 2019“ mit dem neuen Hochlehner Rolf Benz 594. Das einladende Sitzmöbel mit fein austarierter Rückenwölbung, straff gepolsterter Sitzschale und angenehm weichem Sitzkissen mutet an wie eine formgewordene Umarmung. Wir trafen den preisgekrönten Designer in seinem Offenbacher Studio und sprachen über Inspiration, Nachhaltigkeit und das Leben und Arbeiten in Zeiten von Corona.
Sebastian, du hast ja bereits vor einem Jahr den Esstisch Rolf Benz 909 entworfen. Gerade wurde dein neuer Sessel Rolf Benz 594 vorgestellt. Wie lange hat die Entwicklung gedauert und was war die größte Herausforderung?
An dem Sessel haben wir anderthalb Jahre gearbeitet. Die größte Herausforderung war sicherlich die sehr spezielle Sesselform. Es ging ja von Anfang an darum, ein ikonisches Sitzmöbel zu kreieren. Rolf Benz wünschte sich einen Hochlehner mit einer ganz eigenen Aussage, einer unverwechselbaren Formensprache. An eine solche Aufgabe muss man sich erst mal herantasten. Man fängt an zu zeichnen, fertigt Skizzen an und setzt sich an den Computer. Entscheidend war hier aber vor allem die Zusammenarbeit mit den Handwerkern und Prototypenbauern vor Ort bei Rolf Benz.
Die Formfindung war ein mehrstufiger Prozess. Da lief sehr viel über echte, gepolsterte Prototypen-Modelle. Dazwischen wird dann natürlich immer wieder gezeichnet – und auch mal mit dem Marker direkt auf die Prototypen gemalt. Hier etwas wegnehmen. Da ein paar Grad hinzufügen. Dort die Linienführung anpassen ... Natürlich hilft da auch der Computer. Aber letztlich muss man das Objekt mit allen Sinnen real erfahren, den Sessel buchstäblich „besitzen“. Umrunden. Sich vielleicht auch mal vor ihn hinknien. Aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Und so nähert man sich dann Stück für Stück dem finalen Sessel. Ein sehr spannender, aber auch aufwendiger Prozess.
In welchem räumlichen Kontext macht sich der Sessel aus deiner Sicht am besten und wofür eignet er sich besonders gut?
Rolf Benz 594 ist ein echter Allrounder. Er lässt sich auf unterschiedlichste Art inszenieren und gut an verschiedene Raumsituationen und Nutzungsszenarien anpassen. Er kann als singuläres Möbelstück genutzt werden, zum Beispiel als gemütlicher Lesesessel und Rückzugsort. Oder als kommunikative Sesselgruppe. Zum Beispiel im Großraumbüro oder in der Hotel-Lobby. Für Meetings, Kennenlerngespräche oder Smalltalk.
In welcher Materialkombination gefällt dir der Sessel am besten? Hast du eine persönliche Lieblingskombi?
Schwierige Frage. Es gibt da ja so viele Möglichkeiten. Der Sessel lässt sich sehr stark individualisieren. Da wir zu Hause aber viel Beton haben, würde das Untergestell aus Natureiche sicher sehr gut passen. Beim Bezug würde ich eher auf etwas Strukturiertes bzw. Flauschiges gehen. Bouclé finde ich zum Beispiel toll. Oder auch Samt. Das gibt dem Ganzen dann zusätzlich noch so eine schöne Haptik.
Wo findest du Inspiration für deine Arbeit?
Inspiration zu finden fällt mir eigentlich recht leicht. Ich bin ein neugieriger Mensch und beobachte viel. Man muss sehr offen sein, um verschiedene Impulse aufnehmen zu können. Das kann eigentlich überall passieren. Auch im ganz normalen Alltag kann man immer wieder spannende Beobachtungen machen und entdeckt zum Beispiel plötzlich eine schöne Farbe oder eine außergewöhnliche Materialkombination. Aber auch im Studio kann ich Inspiration finden. Im Archiv oder im Gespräch mit meinem Team. Natürlich auch im Museum oder auf Reisen. Und manchmal hilft es auch, Handwerker bei ihrer Arbeit zu beobachten, um auf neue Lösungen zu kommen. Man muss eben einfach offen sein.
Gibt es Vorbilder, die dich und deine Arbeitsweise besonders geprägt haben?
Es fällt mir schwer, bestimmte Designer oder Persönlichkeiten aufzulisten. Da vergisst man ja auch schnell mal den einen oder anderen. Deshalb möchte lieber auf die Handwerker verweisen, die unsere Entwürfe hinter den Kulissen so meisterhaft umsetzen. Die leisten gerade bei Rolf Benz alle eine unglaubliche Arbeit und haben ein wahnsinniges Know-how. Ein Know-how, das von Generation zu Generation weitergeben wird. Das finde ich vorbildlich. Wir haben in Deutschland das große Glück, dass es die Meister-Ausbildung gibt. Das ist ein kostbares Kulturgut. Ich weiß das sehr zu schätzen.
Viele erfolgreiche Designer zieht es nach Berlin. Du hingegen hast vor 13 Jahren dein Design-Studio in Offenbach eröffnet. Was macht Offenbach für dich zum perfekten Standort?
Offenbach gehört sicher nicht zu den attraktivsten Städten. Eher Liebe auf den zweiten Blick. Es ist eine kleine Stadt. Es ist eine überschaubare Stadt. Aber ich fühle mich wohl hier. Es ist mein Zuhause. Hier sind meine Freunde. Hinzu kommt, dass Offenbach eine sehr multikulturelle und damit auch sehr inspirierende Stadt ist. Mit vielen tollen Shops und Restaurants unterschiedlichster kultureller Prägung. Und das alles auf engstem Raum. Aber natürlich spielen auch die verkehrsgünstige Lage mitten in Europa und der nahe Flughafen eine Rolle. Ich habe das große Glück, viel reisen zu können. Mit dem Zug bin schnell bei Rolf Benz im Schwarzwald. Ich kann einen Tagestrip nach Venedig machen. Oder zur Messe nach Paris. Das empfinde ich als großen Vorteil. Aber das hat sich durch Corona natürlich sehr stark verändert. Auch ich bin jetzt mehr am Telefon oder stimme mich per Skype oder Zoom ab. Das funktioniert auch ganz gut. Und so habe ich Offenbach in den letzten Monaten auch nochmal ganz neu kennengelernt. Zum Beispiel den Wochenmarkt mit seinem tollen Angebot. Das ist für mich auch ein Stück Lebensqualität.
Du bist viel in der Welt unterwegs. Gibt es ein Land, das dich auf deinen Reisen besonders fasziniert hat?
Reisen ist ein Privileg. Ich genieße das sehr. Als Kind war das Weihnachts-Shopping mit meinen Eltern in Stuttgart immer ein Highlight. Heute ist der Radius natürlich etwas größer geworden und man kommt auch mal nach Taiwan oder Kolumbien. Das ist wahnsinnig inspirierend. Aber ich finde trotzdem, dass es gar nicht so sehr auf die zurückgelegte Distanz ankommt. Wichtiger sind die menschlichen Begegnungen und die örtlichen Besonderheiten. Wenn ich reise, will ich das Besondere entdecken. Sozusagen die B-Seite einer Stadt, wie bei einer Schallplatte. Das ist das Spannende. Das kann in Taipeh sein. Das geht aber auch in Ulm. Man muss also nicht immer möglichst weit weg. Nur genau hinsehen, egal wo man ist. Durch Corona haben wir aktuell alle die Chance, unsere nähere Umgebung nochmal völlig neu zu entdecken. Diese Chance nutze ich.
Was zeichnet die Kreationen eines Sebastian Herkner aus? Was ist dir wichtig?
Ich achte besonders auf die Materialität, Farbe, Qualität und das Handwerkliche. Ich beobachte, dass Qualität und Langlebigkeit für die Menschen wieder wichtiger werden. Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung. Das ist gut. Ich möchte keine Produkte machen, die trendy sind und nach einem halben Jahr wieder entsorgt werden. Ich möchte Produkte machen, die langlebig sind. Lebenslange Begleiter, die im besten Fall auch noch spätere Generationen erfreuen. Dazu gehört auch, dass man die Produkte reparieren kann oder im Falle eines Sitzmöbels auch neu aufpolstern. Unsere Ressourcen werden knapper. Wir müssen umdenken und den ganzen Prozess im Blick haben. Das finde ich bei Rolf Benz so toll. Da wird noch vor Ort im Schwarzwald produziert. Das heißt: kurze Wege – und natürlich nachhaltige Qualität.
In deinen Designs interpretierst du Merkmale aus verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten und kreierst Artefakte von einzigartiger Persönlichkeit. Welche Beobachtungen stecken denn im Sessel Rolf Benz 594?
Unser Alltag wird immer hektischer. Man rennt von A nach B und nimmt seine Umgebung gar nicht mehr richtig wahr. Die Arbeitsprozesse werden immer schneller. Man hängt vor dem Handy, Laptop und Tablet und lebt immer digitaler. Das Haptische löst sich mehr und mehr auf. Unser Hochlehner ist eine Antwort auf diese Entwicklung und will ein Rückzugsort sein. Etwas Echtes und Greifbares. Stichwort: Cocooning. Ein Ort, an dem man sich fallenlassen kann. Ein Platz zum Anlehnen und Ankommen. Zum Eintauchen und tiefen Durchatmen. Hier kann man entspannen, sinnieren, einen Powernap machen, ein Buch lesen – aber natürlich auch wunderbar E-Mails checken oder im Internet surfen. Wenn man das will.
Die Liste deiner Auszeichnungen ist bemerkenswert lang. Wie fühlt man sich als „Designer des Jahres 2019“ und wie wichtig sind Titel und Preise für dich?
Klar, ist das eine Bestätigung. Vor allem für das Team. Für die Firma. Für die Leistung. Für die viele Arbeit, die in so einer Produktentwicklung steckt. Schöner finde ich es aber, wenn ich meine Produkte zum Beispiel bei Instagram entdecke, mit dem Hashtag #SebastianHerkner. Und dadurch sehen kann, wo die ganzen Produkte gelandet sind. In welchem Kontext sie auftauchen. Wer sie sich gegönnt hat. Oder wer vielleicht sogar darauf gespart hat, weil er oder sie das Produkt unbedingt haben wollte. Die Geschichten dahinter, die finde ich spannend. Und das bedeutet mir eigentlich viel mehr. Toll finde ich auch, wenn ich in ein Hotel komme und plötzlich einen Tisch von mir entdecke. Das sind dann für mich die schöneren Momente.
Was machst du am liebsten, wenn du nicht gerade wegweisendes Design entwirfst?
Kreativität ist meine Leidenschaft. Deshalb sehe ich meinen Beruf eigentlich gar nicht so sehr als Beruf. Eher als Privileg. Weil ich genau das mache, was ich wirklich mag. Die Vielseitigkeit ist spannend. Und es ist ja nicht so, dass ich acht Stunden am Tag schufte und dann völlig erschöpft nach Hause komme. Wenn man wirklich das machen kann, was einem Spaß macht, geht alles wesentlich leichter von der Hand.
Kann gutes Design die Welt verändern?
Um die Welt zu verändern braucht es nicht unbedingt gutes Design. Aber die Verantwortung eines Designers ist natürlich schon groß. Er kann beeinflussen, wie die Dinge genutzt werden. Wie wir sie recyceln. Mir persönlich liegt zum Beispiel überhaupt nichts daran hippe Produkte zu machen, die für eine Saison im Regal liegen und zwei Jahre später auf dem Müllberg. Ich denke, da haben wir als Designer schon eine gewisse Verantwortung. Und dadurch können wir sicherlich auch die Welt ein wenig mitgestalten. Less, but better. Weniger kaufen, aber in besserer Qualität. Ich denke, damit können wir die Welt verändern. Der Designer allein kann das natürlich nicht schaffen. Aber er kann sicherlich Anstöße geben, zur Diskussion anregen und mit einer verantwortungsvollen Designleistung dazu beitragen, dass die Welt ein wenig besser wird.
Vielen Dank für das Gespräch, Sebastian.
Bilder: Sandro Jödicke | whitedesk